Mal ehrlich… Über Strandbegegnungen und das subjektive Alter

Das Foto zeigt einen Strandkorb mit Kopfhörern und Strandtasche

Neulich am Strand.
Eine dieser Begegnungen, die einem auf leisen Sohlen einen Spiegel vor die Nase halten.
Eine Familie, zwei Hunde, eine etwa fünfzehnjährige Tochter mit großer Sonnenbrille und Sommersprossen.
Meine Goldies waren begeistert – sie lieben Teenager-Mädchen (vermutlich riechen die einfach cool) und andere Hunde sowieso – und auch hier mussten sie unbedingt „Hallo“ sagen.
Wir kamen ins Gespräch.

Die Mutter war mir sofort sympathisch: klug, wach, charmant. Eine Frau, bei der ich dachte: Ach, meine Wellenlänge. Mein Vibe. Mein Jahrzehnt.
Noch während ich mich wohlig in diesem same tribe-Gefühl suhle, dämmert es mir: Nope. Das ist nicht mein Jahrzehnt.
Die haben noch Hausaufgabenzeiten, Teenagerdramen und vermutlich einen laminierten Ferienplaner am Kühlschrank hängen.

Ich nicht.
Ich habe Hunde.
Ein Halb-Abo auf philosophische Sinnkrisen, eine App zum Kalorienzählen und eine Tagescreme für die anspruchsvolle Haut über fünfzig.

In meinem Kopf aber – da fühle ich mich Anfang, maximal Mitte vierzig. Genau wie diese Mutter.
Damit fühle ich mich stimmig. Mein Denken, mein Tempo, mein Blick auf die Welt – alles spielt sich auf dieser Frequenz ab.
Nur das Bild außenrum wirkt manchmal wie nachträglich überbelichtet.
Ich merke, dass mein Bild nicht mit der Realität matcht – wenn junge Kolleg*innen Dinge sagen wie: „In deinem Alter …“,
wenn ich an der Strandbar als Einzige in der Schlange gesiezt werde oder – besonders niederschmetternd – wenn mir Werbung für Senioren ins Postfach flattert.

Das ist dann dieser Moment der Erkenntnis. Nicht der mit Eva und dem Apfel. Sondern die Rentner*innen-Version davon:
Ich bin zehn Jahre älter als die Menschen, mit denen ich mich gerade spontan in Freundschaft hineinträume.
Sie könnten gerade über den ersten Freund ihrer Tochter diskutieren, während ich überlege, ob ich am Wochenende ein Retreat buche oder mich selbst mit Matcha-Latte und bequemer Leinenhose mit Gummibund aufs Sofa einlade.

Was mich dabei am meisten irritiert: Frauen in meinem realen Alter wirken auf mich oft älter.
Nicht, weil sie es sind – sondern weil ich innerlich woanders verankert bin.
Ja, das ist eitel gedacht. Vielleicht auch vermessen.
Aber es ist, was es ist: eine subtile Verschiebung zwischen innen und außen.
Die gibt es tatsächlich – und damit bin ich gar nicht allein.

Psycholog*innen nennen das subjektives Alter.
Es beschreibt den Unterschied zwischen dem, was wir biologisch sind – und dem, was wir innerlich empfinden.
Studien zeigen: Die meisten Menschen fühlen sich jünger, oft um ein Jahrzehnt oder mehr.
Nicht, weil sie das Älterwerden leugnen – sondern weil sich das Ich nicht im Takt der Jahreszahlen weiterdreht.
Das innere Alter orientiert sich nicht am Spiegelbild. Es folgt der eigenen Biografie, dem Grad an Lebendigkeit, der Beweglichkeit im Denken – und dem schlichten Gefühl, dass man noch nicht fertig ist.

Ich will keine Party mit Zwanzigjährigen feiern, kein Festival mehr durchstehen und keine Netzstrumpfhosen ironisch interpretieren.
Ich will nur nicht das beige-braune Leben der Alten leben müssen, bloß weil ich in Lebensjahren jetzt zu „denen“ gehöre, die besser nicht mehr auf dem Boden sitzen.
Ich will mir treu bleiben – auch wenn meine Playlist inzwischen mehr Jazz als Spotify Top 10 ist.

Jedenfalls habe ich beschlossen, diese Differenz zwischen gefühltem und äußerem Alter nicht mehr als Fehler zu betrachten.
Wenn ich das Gefühl habe, mit Menschen „zehn Jahre jünger“ auf einer Wellenlänge zu sein, liegt das nicht an einem verzweifelten Wunsch, nicht älter zu werden.
Es liegt daran, dass ich lebendig, offen und interessiert geblieben bin – während andere aus meiner Altersgruppe vielleicht andere Wege gehen.

Es ist ein Beweis dafür, dass etwas in mir hell geblieben ist.
Dass nicht alles festgezurrt ist.
Dass ich mich verbinden kann – auch mit Menschen, die gerade an anderen Lebensstationen stehen.

Und wenn mich jemand irritiert anschaut, weil ich mich mit einer Frau in den Vierzigern blendend verstehe, denke ich:
Klar versteh ich mich mit ihr. Wir sind uns sehr ähnlich.
Nur dass ich eben ihre Zukunft bin.
Und sie vielleicht meine Vergangenheit.
Und dass beides gar kein Widerspruch ist.
Sondern nur ein bisschen Zeitversatz – mit sehr guter Aussicht.

Mari Fährmann trägt Kopfhörer am Strand
Mari Fährmann
Bloggerin / Autorin
Mari Fährmann schreibt über das Leben nach 50 – diesen merkwürdigen Ort zwischen Sichtbarkeit und Seniorenrabatt. Sie glaubt an Haltung, Humor und daran, dass ein Blog mehr bewegen kann als ein Yoga-Retreat bei Vollmond.
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