Meine Woche zwischen Football, Frauen 50plus Frühstücksclub und Vernissage.
Vorletzten Sonntag war ich beim Finale der European Football League in der MHP Arena in Stuttgart. Pommes, Cheerleader, laute Beats – und mein Mann, selig wie unsere Golden Retriever beim Mäusebuddeln. Er ist ein großer Fan dieses Sports. Ich dagegen: eher skeptisch beäugend. American Football war mir bis dahin ein Mysterium. Viele Männer rennen ineinander rein, dann wird unterbrochen, dann nochmal, dann jubelt das halbe Stadion – und ich weiß nicht genau, warum.
Aber an diesem Sonntag, irgendwo zwischen Fangesängen und Halbzeit-Hysterie, passierte etwas Unerwartetes: Ich verstand das Spiel. Nicht nur technisch, sondern atmosphärisch. Defense, Offense – plötzlich ergab das alles Sinn. Von meinem Platz aus war es viel einfacher als zuhause am Bildschirm, wo alles aussieht wie ein chaotischer Nahkampf in Zeitlupe.
Es machte Klick. Und ich dachte: Na bitte, geht doch.
Das war die Belohnung dafür, dass ich etwas gemacht hatte, was nicht auf meinem üblichen Programm steht. Ein bisschen raus aus dem Gewohnten, ein bisschen rein ins Ungefähre.
In der Halbzeit traten die Fantastischen Vier auf – das ist meine Generation, mein Takt, mein „MFG“-Moment. Ich stand da, inmitten von 36.000 Menschen, nahm mein jugendliches Ich kurz bei der Hand und sagte innerlich: Guck mal, wir sind noch da. Und wir tanzen. Vielleicht nicht elegant, aber doch irgendwie im Takt.
Ich habe den Moment geteilt. Zwei Storys, ein bisschen Herzblut, ein Hauch Nostalgie – und dann: kam so gut wie nichts. Funkstille im Feed. Nur ein paar treue Seelen schickten ein pflichtbewusstes „Cool“ und einen Daumen, der ein bisschen wirkte wie aus Versehen gedrückt. Der Rest: Schweigen. Als hätte ich statt Football einfach einen schwäbischen Linseneintopf gepostet. Wobei – der hätte vermutlich ein Vielfaches an Resonanz ausgelöst. Essen geht immer.
Das ist die Insta-Wahrheit für Frauen 50plus: Blumen, Mode, Matcha? Läuft. Football? Eher nicht. Macht aber nichts. Ich habe mir auf die imaginäre Fahne geschrieben, nicht nur im ästhetischen Mittelfeld zu bleiben. Ich will Dinge ausprobieren – mal innerhalb, mal jenseits meiner Komfortzone. Nicht nur Hochglanz, sondern auch das Schräge, das Ungewohnte, das, was nicht sofort Likes bringt. Und insgeheim bin ich jetzt schon gespannt, wie ich dieses maue Ergebnis noch unterbieten kann. Material dafür liegt reichlich bereit – die nächsten Wochen versprechen einiges.
Eine Woche später: Generation-Wow-Frühstücksclub in Biberach. Vier großartige Gastgeberinnen hatten geladen, und der Raum füllte sich mit Frauen, die lachten, fragten, strahlten – und schon mit dem ersten Glas Sekt die Luft zum Flirren brachten.
Ich war da. Also körperlich. Mein Kopf blieb zunächst noch ein paar Minuten draußen vor der Tür.
Ich bin die, die ein bisschen länger braucht. Um reinzukommen. Um zu sortieren, was alles auf mich einströmt: Stimmen, Licht, Menschen, Parfumwolken. Nicht, weil ich Menschen nicht mag – im Gegenteil. Aber mein System schaltet dann kurz in den Notfallmodus. Es fühlt sich weniger nach WLAN an, eher wie ein Modem aus den Neunzigern, das erstmal pfeifend hochfahren muss.
Meine Tischnachbarin war mir sofort sympathisch. Auch sie schien sich eher leise ins Geschehen zu tasten, statt mit Karacho reinzubrettern. Wir frühstückten nebeneinander, redeten über dies und das, ohne Eile. Am Buffet lagen Eier, jedes mit einem kleinen Spruch beschriftet: „Powerfrau“, „Chaotin“, „Träumerin“. Ich nahm das mit „Have a nice day“ – und aß es. Und der Tag? Wurde richtig gut.
Später saß ich allein mit meinem Kaffee am Tisch, ein kleines Päuschen für mich. Da kam eine Frau auf mich zu. Ob alles okay sei, fragte sie. Ich sähe so in mich gekehrt aus. So selbstvergessen. Ob ich nicht zu den anderen rüberwolle.
Es war sicher freundlich gemeint. Ich lächelte, sagte etwas Nettes – und innerlich passierte das Übliche.
Ein alter Gedanke, gut abgehangene Kategorie, meldete sich zurück: Du bist nicht wie die anderen. Du bist anders. Wahrscheinlich zu anders.
Und dann fiel mir ein, dass ich 56 bin. Und diesen Gedanken vor kurzem mit einem kleinen Knicks und einem mit freundlichen Grüßen verabschiedet habe. Also blieb ich sitzen. Es war nicht meine Stille, die störte – sondern ihr Blick darauf.
Und wie so oft, wenn ich mir diese kleinen Zwischenräume erlaube, war ich danach wieder da.
Das Essen war vorbei, die Sitzordnung aufgehoben, alle standen jetzt, unterhielten sich. Ich auch. Ich stand am Stehtisch, redete, lachte, machte Quatsch in der Fotobox. Und plötzlich war ich nicht mehr draußen. Ich war mittendrin.
Im Gespräch mit Frauen, die wissen, wie oft man sich im Leben neu sortieren muss. Die keine müden Freundschaften mehr künstlich beatmen, nur weil sie schon so lange bestehen. Die große Pläne haben – und kleine Fluchten. Die sich manchmal an den Rand stellen, ohne dort zu bleiben. Und die genau deswegen dazugehören.
Am Abend ging ich noch zur Vernissage im Atelier um die Ecke. Thema: Farbe der Veränderung.
Ich mag solche Ausstellungen. Kunst, die nicht schreit, aber trotzdem was sagt.
Eine Installation hat mich besonders berührt: Viele Brillen, alle im gleichen Braunton – und mittendrin eine rosafarbene. Kein großes Statement, keine Erklärung. Nur da.
Für mich war es ein leiser Hinweis. Dass man anders sein darf, ohne ausgeschlossen zu sein.
Dass man dazugehört – auch wenn man die Welt durch eine andere Brille sieht.
Football, Frühstück, Vernissage – drei Welten in einer Woche. Und ich mal Defense, mal Offense.
Mal ehrlich: Genau so mag ich’s.