Über die Angst, sich etwas Neues zuzutrauen

Über die Angst, sich etwas Neues zuzutrauen

Wann hören wir Frauen eigentlich auf, uns neue Ziele zu setzen? Vielleicht erinnerst du dich noch an diesen denkwürdigen Moment, als dir dein Frisör zum ersten Mal einen kurzen Bob schmackhaft machen wollte – und du dachtest: „Wie praktisch. Aber Moment mal… sehe ich etwa schon nach ‚praktisch‘ aus?“

Oder als man dir in der Parfümerie ungefragt diese Pröbchen „für reife Haut“ in die Hand drückte und verschwörerisch zuzwinkerte. Das fühlt sich an, als würde man langsam abgeschoben. Willkommen in der Welt der Alte-Damen-Kurzhaarschnitte und Gespräche über Hautstraffung. Sind das etwa die Momente, in denen wir aufhören, uns neue Ziele zu setzen? Weil wir glauben, dass wir für die richtig coolen Sachen sowieso längst abgelaufen sind?

Oder liegt es vielleicht daran, dass wir im Alter immer mehr zu unseren härtesten Kritikern werden? Kennst du bestimmt, oder? Diese innere Stimme klingt wie eine übermotivierte Alexa, die nie müde wird, ungefragt Kommentare abzugeben: „Was, wenn du dich blamierst? Was, wenn du scheiterst? Was, wenn die anderen über dich lachen?“ Ach, halt doch einfach die Klappe, Alexa!

Mein großer Traum war es, Bestseller-Autorin zu werden. Stattdessen bin ich Weltmeisterin im Prokrastinieren geworden – mehrfach ausgezeichnet, übrigens. Denn egal, was das Leben sonst noch so anbot, es war plötzlich wichtiger: Steuererklärungen, Großputz, der hundertste Rückrufkurs mit dem Hund, Gartenzaun streichen, Netflix-Marathons. Manchmal auch die Frage, ob ich eigentlich wirklich zu alt für die pinken Sneaker bin. Ich kann dir sagen, es hat ‘ne ganze Weile gedauert, bis ich endlich in die Gänge kam.

Heute schreibe ich zusammen mit sechs kreativen Frauen, die ich bei einem Schreibseminar kennengelernt habe – wobei ich beim ersten Treffen noch spontan auswandern wollte, am besten sofort. Denn jede musste ihren eigenen Text vorlesen. Laut. Mit Feedbackrunde. Das fühlte sich ungefähr so gruselig an wie ein Striptease unter grellem Neonlicht – bei dem man nur hoffen kann, dass niemand die unvorteilhafte Unterwäsche bemerkt. Überraschung: Ich bin nicht geflüchtet und hab den Abend irgendwie überstanden. Und zwar trotz der Angst, die in meinem Brustkorb randalierte. Mittlerweile fühlt sich das Texte-Vorlesen sogar ziemlich entspannt an. Vermutlich dank gemeinsamer Nachmittage mit Käsekuchen, literweise Tee und diesen großartigen Frauen, die ohne mit der Wimper zu zucken Mörder, Spione, kulturbegeisterte Trampeltiere und sprechende Eichhörnchen erfinden.

Zusammen ist man weniger allein. Klingt abgedroschen, ich weiß. Aber zu zweit (oder zu sechst) lässt sich die Komfortzone eben besser demolieren. Vielleicht wartet dein persönlicher Komfortzonen-Vandalismus ja schon in einem Boxstudio, beim Improtheater oder in einer Gruppe für exotische Zimmerpflanzenliebhaberinnen auf dich. Trau dich – und triff Menschen, die dich inspirieren, herausfordern oder einfach nur mit dir einen Kaffee trinken gehen, während ihr gemeinsam überlegt, wie man diese Angst endlich austrickst.

Glaub mir, ich kenne diese Angst gut – wir duzen uns seit Jahren. Meine Angst hat eine Vorliebe für nächtliche Katastrophenszenarien à la „Was, wenn ich beim Badmintonspielen mit den neuen Nachbarn nach fünf Minuten kollabiere?“ oder „Was, wenn ich die Einzige bin, die allein zur Vernissage geht und mich alle anstarren?“ Ich sag’s dir: Angst ist ein Dramaqueen-Scheinriese. Je näher du rangehst, desto schneller schrumpft sie – etwa so wie eine teure Jeans beim ersten Waschgang.

Mein Tipp? Fang klein an. Schritt für Schritt. Lass das neue Ziel langsam in deinem Kopf Form annehmen, bis du es ganz klar vor dir sehen kannst – und die Angst irgendwann nur noch leise mault. Also, hol deine alten Träume aus dem Keller, schüttle sie kräftig durch und frag dich ehrlich: Wann, wenn nicht jetzt? Das könnte das beste Abenteuer deines Lebens werden. Und Abenteuer fühlen sich meistens ziemlich prickelnd an – mindestens wie Champagner. Und wer sagt schon nein zu Champagner? Eben.

Mari Fährmann
Bloggerin / Autorin
Mari Fährmann schreibt über das Leben nach 50 – diesen merkwürdigen Ort zwischen Sichtbarkeit und Seniorenrabatt. Sie glaubt an Haltung, Humor und daran, dass ein Blog mehr bewegen kann als ein Yoga-Retreat bei Vollmond.
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